Auch im Bereich Bestandserhaltung wird die Digitalisierung vorangetrieben: Sie verspricht ein dauerhaftes und vor allem einfacheres Zugänglichmachen von Informationen und Dokumenten. Online soll alles kostenlos und für jede∙n abrufbar sein. Doch was passiert, wenn die Strompreise explodieren und das Betreiben großer Scanner oder Server deutlich teurer zu Buche schlägt? Auch die kurze Halbwertszeit von Dateiformaten macht Digitalisate nicht unbedingt zu Informationsspeichern "auf Ewigkeit". Den Abschied vom Original bedeutet die Digitalisierung also sicherlich nicht – auch weil manche Informationen, z. B. Nutzungsspuren oder Aspekte der Materialität, sich der digitalen Abbildung entziehen. Als unikale Quellen können sie zwar reproduziert, nicht jedoch ersetzt werden. Wie können Originalerhalt und Digitalisierung vor diesem Hintergrund nutzbringend zusammenarbeiten? 

Diese Frage wurde bei der von der KEK organisierten V. Klausurtagung der Bestandserhaltungsgremien am 13. und 14. März 2023 ausführlich diskutiert. Vertreter·innen der Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder (KLA), des Deutschen Bibliotheksverbands (dbv) und der Bundeskonferenz der Kommunalarchive (BKK) tauschten sich über aktuelle Entwicklungen aus und kamen zu einem deutlichen Schluss: Digitalisierung darf nicht auf Kosten des Originalerhalts erfolgen.

Gemeinsam Position ergreifen

"Die Zielperspektive von Originalerhalt und Digitalisierung ist zunächst einmal sehr ähnlich", meint Dr. Johannes Kistenich-Zerfaß, Vorsitzender des Bestandserhaltungsausschusses der KLA. "Auch Originalerhalt ist in letzter Konsequenz kein Selbstzweck, sondern ist sinnvoll nur denkbar, wenn das bestmöglich bewahrte Kulturgut zukünftig in seiner ganzen Mehrdimensionalität zugänglich gemacht, als authentische Quelle erforscht und als ästhetisches Objekt betrachtet werden kann." Es komme aber auf die Priorisierung an: "Wo immer das technisch möglich ist, muss der Originalerhalt an erster Stelle stehen, denn er ist die Voraussetzung, dass wir auch in Zukunft technologieoffen auf das authentische Kulturgut mit seinem Informationsgehalt und in seiner Materialität zurückgreifen können."  

Johannes Kistenich-Zerfaß, Armin Schlechter, Mark Steinert
Die drei Gremienvorsitzenden Johannes Kistenich-Zerfaß (KLA), Armin Schlechter (dbv) und Mark Steinert (BKK) © Hessisches Landesarchiv/Nasser Amini, LBZ Rheinland-Pfalz, privat

Es handelt sich also um ein großes Zukunftsthema, das aus Sicht der Expert·innen bei der Klausurtagung spartenübergreifend anzugehen ist. "Im Gegensatz zu Museen bewahren Archive und Bibliotheken mit der Dominanz von Materialien aus Papier und Pergament Bestände auf, die vergleichbare Probleme im Bereich der Bestandserhaltung aufweisen", erklärt Dr. Armin Schlechter, Vorsitzender der Kommission Bestandserhaltung im dbv. "Hier spielt der Austausch zu aktuellen Entwicklungen und Methoden der Bestandserhaltung eine große Rolle." Hinzu komme die Erstellung gemeinsamer Grundlagenpapiere, in denen fachliche Positionen von KLA, dbv und BKK formuliert werden. 

Das Statement im Wortlaut

Bereits 2019 haben die drei Bestandserhaltungsgremien ein Grundlagenpapier zum Thema "Archiv- und Bibliotheksgut schonend digitalisieren" vorgelegt, das mit Unterstützung der KEK und in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Normung zur DIN 33910 weiterentwickelt worden ist. Aus der V. Klausurtagung der KEK ist ein Statement zum Verhältnis von Originalerhalt und Digitalisierung hervorgegangen. Das im März vorbereitete Papier wurde anschließend in den drei Gremien beraten und verabschiedet. 

Die Expert·innen erhoffen sich von dieser Positionierung eine nutzbringendere Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen der digitalen Reproduzierbarkeit von Originalen. "Ein dringendes Desiderat ist es offensichtlich, einen Konsens zur Rollenverteilung zu finden, der Bestand hat und nicht aus finanziellen oder anderen einseitigen Erwägungen immer wieder in Frage gestellt wird", meint Schlechter. Denn angesichts des rasanten technologischen Fortschritts steht auch der Originalerhalt unter einem gewissen Zeitdruck. Entscheidungen, die heute getroffen werden, beeinflussen die zukünftige Quellensicherheit. Kistenich-Zerfaß bringt es auf den Punkt: "Wenn wir heute nicht das Mögliche für den Originalerhalt tun, werden wir morgen den nächsten Transformationsschritt nicht mehr gehen können."